«Aus der Neo-Welt»

edit SideBar

Schreibmaschine

<< | Frühere Tastaturbelegungen | >>

Im Buch "Erfindungen und kein Ende" von Egon Larsen (Büchergilde Gutenberg, Lizenz von Cecilie Dressler Verlag 1956) finden wir auf Seite 55ff:

In den Apparateraum der "Western Union Telegraph Co." in Milwaukee, Wisconsin, kommt an einem Hochsommertag des Jahres 1867 ein Mann ohne Hut und Jacke, packt den diensttuenden Telegrafisten am Arm und erklärt kategorisch: "Charlie, ich muss ein Stück Kohlepapier haben!".

Charles Weller, Telegrafist und im Nebenberuf Gerichsstenograf, ist von seinem alten Freund Christoph Latham Sholes die verrücktesten Auftritte gewöhnt. "Wenn du zehn Dollar willst, Sholes, so kannst du sie haben. Aber Kohlepapier – ausgeschlossen! Du weißt, ich brauche es unbedingt, um die Presseberichte durchzuschreiben und bekomme jeden Tag nur einen Bogen. Das Zeug ist schrecklich rar. Und wie schaust du denn aus? Bleich, übernächtigt, halb angezogen – sag selbst, ist das ein Aufzug für einen Senator und staatlichen Hafenkontrolleur?"

"Rede keinen Unsinn, Charlie, sondern gib mir das Kohlepapier. Die ganze Nacht habe ich kein Auge zugetan, sondern nur gehustet. Also gib schon her."

"Willst du mir vielleicht sagen, wieso Kohlepapier gegen Husten helfen soll?"

"Herrgott, Charlie, bist du schwerfällig! Natürlich hilft es nichts gegen Husten. Aber heute Nacht, als ich vor Husten nicht schlafen konnte, ist mir eingefallen, wie man die Sache mit der Maschine lösen könnte, von der Glidden gesprochen hat. Also halt mich nicht auf, sondern gib mir das Kohlepapier."

"Ich kann dir höchstens ein altes von gestern geben", seufzt Weller und angelt ein zerknülltes Stück Kohlepapies aus dem Papierkorb. "Aber jetzt lass mich in Ruhe weiterarbeiten, ja?"

"Ich geh schon. Aber wenn du was Interessantes sehen willst, Charlie, so komm morgen Nachmittag in mein Büro. Bis dahin auf Wiedersehen!"

"Auf Wiedersehen – und nimm Hustensirup?" ruft Weller seinem Freund nach, der mit dem alten Stück Kohlepapier verschwindet. Was mag Sholes nur wieder ausgetüftelt haben? fragt er sich und nimmt seine Arbeit wieder auf. Man wird ja morgen sehen.

Sholes rast mit seinen langen Schritten durch die Hauptstraße von Milwaukee, ohne die Leute zu beachten, die dem stadtbekannten Mann verblüfft nachstarren. In seinem Büro, im Federal Building, angelangt, hängt er das Schild "Geschlossen" über die Aufschrift "Hafen-Gebühreneinnehmer" an seiner Tür, sperrt sich ein und beginnt, an einem Stoß von Konstruktionszeichnungen zu arbeiten.

Christoph Latham Sholes ist zweifellos der merkwürdigste Mensch von Milwaukee. Er ist 48 Jahre alt, Abkömmling einer Familie von Freiheitskämpfern aus der New-England-Staaten. Als halbwüchsigen Jungen schickte man ihn in die Redaktion einer Provinzzeitung, wo er Buchdruckrei lernen sollte. Mit 18 Jahren war er schon selbst Redakteur und erregte Aufmerksamkeit durch seine glänzenden politischen Artikel. Mit 25 Jahren wurde er Postmeister, dann Zolleinnehmer und schließlich wieder Redakteur der einflussreichen "Milwaukee Daily Sentinel". Man wählte ihn zum Senator für Kenosha und Racine County, und er wirkte mit an der großen gesetzgeberischen Arbeit jener Jahre. Als ein riesiger Bestechungsskandal aufgedeckt wurde, war Sholes ziemlich der einzige Senator, der nichts angenommen hatte, während andere dabei Vermögen ergaunerten.

Er heiratete, bekam eine Menge Kinder und interessierte sich neben seiner Arbeit als Beamter immer wieder für technische Neuerungen auf dem Gebiete des Buchdrucks. Er kam auf die Idee, eine Maschine zu konstruieren, die imstande sein sollte, Banknoten, Blattseiten in Geschäftsbüchern und andere Papierwaren fortlaufend zu nummerieren. In Milwaukee gab es eine Werkstatt, in der Erfinder ihre Apparate bauen konnten. Hier machte sich Sholes an die Arbeit, und hier lernte er Carlos Glidden kennen, den Sohn eines Eisenhändlers aus Ohio, ebenfalls Amateur-Erfinder und gerade damit beschäftigt, eine Spatenmaschine zu konstruieren. Man sprach über dies und jenes, und einmal erzählte Glidden, er habe in "Scientific American" die Beschreibung der "Pterotype" eines gewissen John Pratt gelesen: eines Apparates, mit dem man Buchstabentypen schreiben oder vielmehr drucken könne, ohne erst einen ganzen Schriftsatz zusammenzustellen wie beim Buchdruck. Das wäre etwas, meinte Glidden – die "Pterotype" sei zwar ein unmöglicher Apparat, aber die Idee sei ausgezeichnet. "Das wäre was für Sie, Sholes", sagte er "und dafür würde ich sogar Geld riskieren!"

Nun hat Sholes in einer durchhusteten Nacht eine Lösung des Problems, das ihm wochenlang durch der Kopf ging, gefunden. Und dafür braucht er das Stück Kohlenpapier seines Freundes Weller.

Als Charles Weller am nächsten Tag in Sholes' Büro kommt, ist sein Freund noch bleicher, unausgeschlafener und unrasierter. Er hat die ganze Nacht in der Werkstatt durchgearbeitet – aber nun ist die eigenartige Maschine fertig, die seiner Phantasie vorgeschwebt hat. Auch Charles Glidden ist da, läuft bewundernd um den Tisch mit dem Apparat herum und erklärt: "Da haben Sie in Ihrer schlaflosen Nacht enwas Feines zusammengehustet, Sholes; ich werde mich an der Sache beteiligen."

Jetzt sieht Weller, wofür sein Kohlepapier so dringend gebraucht wurde. Auf dem Tisch steht ein Morsetaster, an dem ein Hebel befestigt ist. Der Hebel schwingt an einem Ring und trägt an seiner Spitze eine Druckletter mit dem Buchstaben W. Drück man auf den Taster, so schlägt das W gegen eine Glasplatte. Nun hält Sholes ein Stück Papier und das Kohlepapier Wellers an die Glasplatte. Dann schlägt er auf den Taster – und auf dem Papier steht der Buchstabe W. Rückt man das Kohle- und Schreibpapier weiter, so schreibt der Apparat "WWWWW".

"Sehr hübsch", meint Weller. "Aber glaubst du nicht, Sholes, dass Briefe, die nur aus einem einzigen Buchstaben bestehen, ein bisschen monoton sind?"

"Stell dich doch nicht so dumm, Charlie! Man braucht nur für jeden Buchstaben des Alphabets so eine Taste zu machen, und die Maschine ist fertig. Verstehst du das?"

"Ich fürchte, da stellst dir das etwas zu einfach vor. Aber bitte, ich lasse mich gern überzeugen. Bau die Maschine fertig, und ich bin der erste, der sie ausprobieren wird. Nächste Woche trete ich meine neue Stelle als Gerichsstenograf in St. Louis an, da hätte ich Gelegenheit, einen Versuch mit ihr zu machen – übrigens, wie nennst du sie?"

"Natürlich 'Writing-Machine', Schreibmaschine", schlägt Glidden vor. Sholes protestiert: "Nein, das ist mir nicht originell genug. Ich werde sie 'Typewriter' nennen, Typenschreiber."

Leider stellt sich heraus, dass Glidden, der begeisterte "Geldgeber", keinen Pfennig besitzt. Sholes muss also selbst in die Tasche greifen und sein Beamtengehalt zur Konstruktion eines Modells opfern, obwohl Mrs. Sholes heftig protestiert. In der Erfinderwerkstatt beginnt allabendlich, nach den Bürostunden des Hafenkontrolleurs, die Arbeit.

Im Herbst 1867 ist das erste Exemplar des "Typewriter" gebrauchsfertig. Es ist ein riesiger Kasten, einer Nähmaschine nicht unähnlich. Auf einem Tischchen steht der Aufbau ds Apparates: ein Metallreifen, in dem die Typenhebel hängen, ist das Kernstück. Vorn ist auf dem Tischrand eine Art Klaviertastatur angebracht, mit fast acht Zentimeter langen schwarzen Tasten, auf denen die Buchstaben weiß aufgemalt sind; dazwischen, gewissermaßen als Halbtöne, kleinere Tasten für Ziffern und Zeichen. Von den Tasten aus gehen Drähte durch den Tisch nach unten zu einem kleinen Dreifuß, gleichsam dem Pedal dieser schreibenden Nähmaschine; der Dreifuß bewegt sich um eine Stange, und von ihm führen wiederum die Drähte nach oben, zu den Typenhebeln. So glaubt Sholes das Problem der Kraftübertragung von den Tasten zu den Typenhebeln gelöst zu haben: wird eine Taste gedrückt, so wird der an ihr befestigte Draht hinaufgezogen, während auf der anderen Seite des Dreifußes der korrespondierende Draht heruntergezogen wird und damit der Typenhebel betätigt, der das Schreibpapier gegen ein geschwärztes Band presst. Mit jedem neuen Tastendruck rückt das Band, das auf zwei Spulen aufgerollt ist, um ein Stückchen weiter. Auch das Papier muss naturlich weiterrücken; es ist daher auf einem Metallrahmen festgeklammert, der wie ein Wagen auf einer Zahnradschiene mit jedem Tastendruck um eine Buchstabenbreite von rechts nach links läuft. Als Antriebskraft für diese seitliche Verschiebung des Papierwagens wirkt ein Uhrwerk mit Gewichten, das von Zeit zu Zeit aufgezogen werden muss. Ist eine Zeile zu Ende geschrieben, so ertönt eine Glocke; dann muss man ein Pedal treten, wodurch der Papierwagen zurückgeschoben und die neue Zeile eingestellt wird.

Sholes ist sehr stolz auf sein Werk und spielt damit wie ein Junge. Natürlich muss sein Freund Weller die Maschine ausprobieren; sie wird also verpackt und nach St. Louis verfrachtet.

Charles Weller, der erste Stenotypist der Welt, bemüht sich nach besten Kräften, mit dem Produkt seines Freundes fertig zu werden. Bald stellt sich aber heraus, dass der "Typewriter" nicht so leicht zu bändigen ist. Die Hebel bleiben häufig hängen, sodass die Maschine "stottert". Das Uhrwerk arbeitet nicht zuverlässig, weil das Bleigewicht nicht genügt, und so hängt Weller alle Büroutensilien daran, deren er habhaft werden kann – mit dem Effekt, dass der Draht reißt und alles, was daran hing, dem Stenotypisten auf sein schönstes Hühnerauge fällt. Bald ist auch das Farbband abgeschrieben, und Sholes muss ein neues schicken. Er stellt es her, indem er aus dem nächsten Schnittwarenladen ein Satinband holt, in ein Waschbecken Tinte gießt, das Band hineinlegt und es dann über Nacht zwischen den Stühlen seines Büros zum Trocknen aufspannt.

Sholes ist gar nicht böse, als ihm Welles von seinen Kämpfen mit der widerspenstigen Maschine berichtet. Er weiß, sie ist noch längst nicht vollkommen; schließlich ist dieses Problem, an dem sich die Erfinder ein halbes Jahrhundert die Zähne ausgebissen haben, nicht mit dem ersten Versuch zu lösen. So steckt er sein letztes Geld in die Erfindung und baut weitere Modelle, die immer einfacher und zweckmäßiger werden. 1870 ist er so weit, dass aus der "Nähmaschine" ein nicht übermäßig großer einfacher Kasten geworden ist, den man auf jeden Tisch stellen kann. Die Typen ruhen in stählernen Lagern, der ganze Unterbau mit Dreifuß ond Pedal ist verschwunden, aus den Klaviertasten sind runde Anschlagtasten geworden, in vier Reihen angeordnet, mit direkter Übertragung zu den Typenhebeln; die flache Platte mit den Papierklammern ist zur runden Walze geworden – und der ganze "Typewriter" zu einem praktischen Gebrauchsgegenstand. Zum Überfluss verkleidet Sholes den Maschinenkasten noch mit schön poliertem und bemaltem Holz.

Nun schart sich eine Menge von "guten Freunden" um den Erfinder. Sie riechen das ganz große Geschäft. Charles Weller allein bleibt der uneigennützige Ratgeber und Kritiker. Glidden ist nach dem Westen gezogen und lässt nichts mehr von sich hören.

Dagegen taucht ein Mr. Densmore auf, Teilhaber an einer Ölquelle, der Sholes gewissermaßen unter den Arm nimmt und aus ihm einen Geschäftsmann machen will. Er schießt ihm Geld vor und verlangt von ihm immer neue Verbesserungen. Eine der Maschinen schickt er an Mr. James O. Clephane, den offiziellen Stenografen des Obersten Gerichshofes in Columbia, und bittet um Mitteilung, ob der "Typewriter" schon so stabil sei, dass er jeder Beanspruchung standhalte. Clephane zerschlägt die Maschine und bittet um eine neue, stabilere. Man schickt sie ihm. Er zerschlägt sie. Man schickt ihm eine dritte – mit demselben Resultat. Bis endlich nach der vierten Sendung die Antwort eintrifft: die Maschine ist gut. Mr. Clephane hat es nicht fertiggebracht, sie zu zerschlagen.

Densmore zieht einen zweiten Geldgeber hinter sich her, einen Mr. Yost. Die beiden machen Verträge mit dem in Geschäftsdingen ungewandten Sholes. Anständig aber benimmt sich ein Journalist, Dr. Doby, der sein Büro neben dem des Erfinders im Federal Building hat. Er gibt Geld ohne Verträge und macht Verbesserungsvorschläge. Aber noch sind die Maschinen kein Geschäft, man muss alles in Reklame und neue Modelle stecken. Im Februar 1873 ist Sholes am Ende seiner Finanzkraft.

Densmore hat nur auf den Augenblick gewartet. Unter schwer zu widerlegenden Vorwänden spannt er dem Erfinder dessen eigenes Werk aus. Ohne dass Sholes es weiß, besucht Densmore mit Yost die "Ilion Arms Manufactory" und führt deren Direktoren, H.H. Benedict und Remington, die Schreibmaschine vor. Am 1. März 1873 wird der Vertrag abgeschlossen; die Waffenfabrik übernimmt zunächst die Herstellung von 1000 Maschinen mit Option auf den späteren Alleinverkauf für die ganze Welt. Mit Sholes einigt sich Densmore auf eine einmalige Abfindung von nur 12.000 Dollars…

Sholes ist nicht so dumm, um nicht zu sehen, wie gewaltig man ihn übers Ohr haut. Er weiß es und lässt es geschehen. Was er wollte, hat er erreicht: die Welt hat eine brauchbare Schreibmaschine erhalten.

Nun beginnt, langsam und stockend zuerst, der Vormarsch der Schreibmaschine. In den Läden der amerikanischen Großstädte stehen die Kästen, mit denen niemand etwas Rechtes anzufangen weiß. Schreiber in Ämtern und Büros, aus Angst vor Stellenverlust und Umlernenmüssen, beginnen gegen die neue Erfindung zu hetzen. Tinten- und Federfabrikanten bezahlen Zeitungsartikel gegen die Schreibmaschine. Das Publikum ist uninteressiert.

Da tritt ein Mann auf, dem die Ohren ganz Amerikas gehören: Mark Twain. Der große Humorist, begeistert für alle neuen Erfindungen, begrüßt die Schreibmaschine enthusiastisch, nachdem er in einem Laden in Boston ein Exemplar für 125 Dollars gekauft hat. Mühsam arbeitet er sich ein, und ein paar Wochen später erhält sein Verleger Bliss das erste maschinengeschriebene Manuskript, das jemals ein Dichter getippt hat – eine Fortsetzung des unsterblichen "Tom Sawyer".

Auch Bliss ist begeistert, denn Twain hat, wie alle Dichter, eine fürchterliche Handschrift; und der Verleger lässt sich von seinem Autor versprechen, von nun an nur noch getippte Manuskripte zu liefern. Aber Mark Twain hält sein Versprechen nicht lange. Die Maschine absorbiert seine Energie doch zu sehr, und endlich stellt er sie in eine Ecke. Eines Tages erscheint er bei Bliss, gefolgt von einem Diener, der sich mit einem schweren Kasten abschleppt.

"Hier schenke ich Ihnen meine Schreibmaschine, lieber Bliss", erklärt der Humorist. "Das Maschinenschreiben ist doch anstrengender als das Schreiben mit der Hand – aber wenn ich das Scheusal zu Hause in meinem Zimmer stehen lasse, schaut es mich immer so vorwurfsvoll an…"

Aber auch Bliss weiß nichts mit der Maschine anzufangen. Schließlich fällt ihm nichts anderes ein, als sie dem Dichter wieder zurückzuschicken. Mark Twain schenkt sie nun seinem Sekretär – unter der Bedingung, dass er sie nie wieder zu sehen bekäme; und dabei bleibt es. In der Öffentlichkeit berichtet Mark Twain freilich nichts von seinen schlechten, sondern nur von seinen guten Erfahrungen mit der neuen Erfindung; und das Publikum beginnt, sich damit anzufreunden.

Der erste europäische Dichter, der die Schreibmaschine benutzt, ist kein Geringerer als Leo Tolstoi. Er bestellt ein Exemplar aus Amerika, lässt seine Tochter darauf üben und diktiert ihr von nun an seine gesamte Korrespondenz und viele Romanmanuskripte in die Maschine. Die erste Stenotypistin Europas ist die Komtesse Tolstoi in Jasnaja Poljana.

Sholes verfolgt neidlos die Erfolge seiner Erfindung. Densmore wird steinreich daran; als Sholes an Tuberkulose zu leiden beginnt, packt Densmore das Gewissen und er zahlt dem mittellosen Erfinder den Aufenthalt in Florida. Doch für eine Genesung ist es schon zu spät; im Februar 1890 stirbt Sholes.

Kurz vor seinem Tod sagt er zu seinem Freund Charlie: "Ich habe mich mein ganzes Leben hindurch bemüht, kein Millionär zu werden. Ich glaube, das ist mir ganz großartig gelungen."